Warum Parteienkommunikation in der Krise ist und warum die Lösung heißt: „Mehr Social Media!“

Ein Beitrag von Bernhard Kuttenhofer, Leiter Politik bei LOBECO

Warum durften wir Robert Habeck kürzlich beim Haareschneiden zuschauen und warum wissen wir jetzt, was bei Christian Lindner im Regal steht?

Weil sich nicht nur ganz Deutschland im Krisenmodus befindet, auch die politische Kommunikation ist in der Krise – in einer der ganz eigenen Art: Angriffsvermeidung, Schluss mit Oppositionsreflexen, Zurückhaltung. Die Corona-Krise hat die Kommunikation von Parteien in Deutschland komplexer gemacht und schlagartig verändert. Gradmesser sind die Generalsekretäre – sonst zuständig für zugespitzte Formulierungen und 100-Prozent-Parteibrille. Sie wägen nun stärker ab, schlagen versöhnlichere Töne an, geben der Regierung im Grundsatz recht oder schweigen ganz. Niemand will derzeit über Streit zwischen den Parteien lesen. Dass dieses „Parteiengezänk“ in Demokratien systemnotwendig ist, dürfte den meisten Menschen derzeit herzlich egal sein.

Normale politische Kommunikation erfolgt entlang von Konfliktlinien („Steuern rauf“ vs. „Steuern runter“ oder „Markt vs. Staat“).  Corona hat dieses System außer Kraft gesetzt:

Die Pandemie ist quasi das einzige politische Thema, wir erleben einen monothematischen Tunnelblick. Die Menschen haben Angst, wollen Lösungen sehen, priorisieren anders als vorher. Wenn in Bayern 84 Prozent die krisenbedingten Einschränkungen im öffentlichen Leben gut heißen (1) , dann sind hier fast alle einer Meinung, dann gelten die Regeln der Konfliktlinien und damit der klassischen politischen Kommunikation nicht mehr.

Falsch gedacht: Das Problem ist eben nicht nur ein „Oppositionsproblem“

Die Gesellschaft orientiert sich an politischen Leitfiguren, die in öffentlichen Ämtern stehen. Medien konzentrieren sich folgerichtig auf diese Personen. Es ist die „Stunde der Exekutive“ –  gefragt sind „Leitwölfe“ statt „Streithammel“.

Während dieser Effekt im Prinzip alle politischen Akteure betrifft, haben die Parteien, die Regierungspersonal stellen, zumindest den „Vorteil“, dass deren öffentliche Präsenz die Zustimmungsraten in die Höhe treibt – doch auch Regierungsparteien haben ein Problem, das durch steigende Umfragezahlen nur verdeckt wird.  Die Annahme, die „Krise der Parteienkommunikation“ beträfe nur die Opposition, weil diese in der Konsensfalle steckt, ist falsch. Auch für Regierungsparteien gilt: Alle Parteien sind als politische Akteure im öffentlichen Diskurs derzeit marginalisiert.

Neben diesem Problem der Außenkommunikation besteht auch ein noch tiefergehendes „Innenproblem“:  Parteien haben eine starke „Präsenzkultur“, aber die klassischen Stammtische, Monatstreffen und Vorstandssitzungen fallen derzeit aus, was vor allem für die Volksparteien schwierig ist, die einen großen Teil ihrer Stärke aus der Basis in der Fläche schöpfen.

Parteien sind als politische Akteure in der Krise also an den Rand gedrängt. Die Frage, die man sich in diesen Tagen in allen Parteizentralen stellt, ist: „Was tun?“

Was können Parteien tun, um in diesem neuen Rahmen erfolgreich zu sein:

Die Lösung ist: Mehr Social Media – denn hier finden sich die Werkzeuge, diese „Krise der Kommunikation“ zu meistern. Was man als Partei in der Krise machen kann:

  1. Schlagzahl erhöhen und neue Formate suchen

Die Nutzung von Social Media nimmt deutlich zu. In Italien z.B. verdoppelte sich in der Krise die Nutzung von Instagram und Facebook Live innerhalb einer Woche (2). Mit mehr Nutzern steigt auch die Nachfrage für Inhalte. Für Parteien sollte dies Anlass sein, mehr digitalen Content zu erstellen. Dabei kann man jetzt neue Formate ausprobieren: Facebook Live und Instagram Live, Q-and-A’s oder Clips mit Behind-the-Scenes-Content bekommen jetzt mehr Zuseher als früher und sie können als konstruktive Formate für proaktive Inhalte genutzt werden, denn sie leben nicht zwangsläufig vom politischen Streit, den derzeit keiner will.

Das Thema Krise beschäftigt alle Milieus und alle Altersgruppen. Dies ermöglicht auch, mit Menschen in Kontakt zu treten, mit denen der Dialog bislang schwierig war. Ein aktuelles Beispiel: Als der Bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Markus Söder zu Beginn der Ausgangsbeschränkungen vor einigen Tagen auf der Plattform Jodel auf der Jodel-Litfaßsäule in einem kurzen Clip die Nutzer bat, sich an die neuen Regeln zu halten, wurde dies mit deutlichen Upvotes quittiert – und das in einer jungen Kernzielgruppe, in der ein Politiker einer bürgerlich-konservativen Partei nicht automatisch ein Heimspiel hat.

  1. Persönlichkeiten herausstellen

Social Media-Plattformen wurden einst rund um Personen konzipiert, nicht für Parteien oder Organisationen. Bis heute gilt auf Social Media: „Person schlägt Organisation“.  Persönlichkeiten laufen besser als eventuell „gesichtslose“ Parteien. Zwar gibt es natürlich beiderseits Trolle, aber selbst bei ähnlichen Inhalten ist die Stimmung auf Politikerseiten insgesamt versöhnlicher und freundlicher als auf den parallelen Parteiseiten. Die Krise gibt Persönlichkeiten die Möglichkeit, sich hier noch menschlicher zu zeigen, denn auch Politiker sind natürlich von den Herausforderungen betroffen: Sie sitzen im Home Office, sie müssen sich einschränken. Das gibt die Möglichkeit für persönliche Einblicke, selbstironische Teilnahme an Challenges, augenzwinkernde Schilderungen, die die Persönlichkeit plastischer werden lassen und die Bindung zwischen Nutzer und Politiker verstärken  – hier darf man es nur nicht übertreiben.

  1. In die Partei hineinwirken

Jetzt ist es höchste Zeit, die Partei digital voranzutreiben. Wer sich nicht mehr persönlich treffen kann, muss dies eben online tun: Parteizentralen müssen ihre Funktionsträger und Verbände weiterbilden, wie das geht. Webinare zur digitalen Parteiarbeit sollten dazugehören: Infos über Tools, „Best Practices“, Abläufe einer digitale Vorstandssitzung, erforderliche technische Ausstattung – es gibt eine Fülle an Themen für die digitale Weiterentwicklung der Parteien. Da Parteien aber nicht zentral geführt werden, sondern die Masse der Arbeit ehrenamtlich läuft, kann die Parteizentrale dies nicht anordnen, sie muss begeistern. Die Basis muss sich hier mitgenommen fühlen – den bekannten Protagonisten der Partei kommt hier die zentrale Rolle als Vorbild und „Motivator“ zu – wie wäre es zum Beispiel mit exklusiven digitalen Inhalten nur für Mitglieder?

  1. Auch in der Krise Erfolgsthemen finden

Noch gibt es nur ein Thema: Die unmittelbare Bewältigung der Corona-Krise. Hier ist Parteienstreit weiter zu vermeiden. Anders stellt es sich bei den demnächst zu befürchtenden Krisenfolgen dar: Die bestehenden und weiter drohenden wirtschaftlichen Auswirkungen werden die Politik weiter begleiten – befürchtete Insolvenzen, Arbeitslosigkeit, Rezession. Demnächst werden alte Konfliktlinien wieder zum Vorschein kommen. Darauf gilt es, vorbereitet zu sein. Hier können auch die Akteure, die im Augenblick nicht in als „Problemlöser“ auftreten können, eventuell vorhandene höhere Kompetenzzumessungen ausspielen.

  1. Dauerhaft zum Sender werden

Die Krise erwartet schnelle neue Inhalte und Echtzeitkommunikation. Wir erleben gerade einen deutlichen Trend zu Livestreaming. Durch live gestreamte Inhalte verstärkt sich die Tendenz politischer Akteure, selbst zum Sender zu werden. Diese Form der Kommunikation sollte in und auch nach der Krise weiter aufrechterhalten werden. Die Rolle der Parteien und Parteizentralen als Sender der eigenen Botschaft ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen – wenn die neuen Erfahrungen in Sachen Livecontent weiter angewandt werden, wird sich diese Rolle weiter festigen – das lohnt sich!

(1) Civey-Umfrage vom 4. April 2020

(2) https://about.fb.com/news/2020/03/keeping-our-apps-stable-during-covid-19/  (abgerufen am 13.04.2020)